Doha-Splitter

  05.10.2019    BW-Leichtathletik WLV BLV
Ewald Walker, vor Ort in Doha bei der Leichtathletik-WM, schildert hier seine Eindrücke aus dem Emirat Qatar an der Ostküste der arabischen Halbinsel am Persischen Golf.

 

Freitag, 4. Oktober 2019: Sonne pur, Polizeibegleitung und Medienauftritt

Drei Stunden Schlaf nach einer berauschenden Nacht beim Zehnkampf. Deutschland hat wieder einen „König der Athleten“. Bendlin, Holdorf, Voss, Wentz, Kratschmer, Hingsen, Busemann, Abele – die Auflistung  dieser Namen klingt wie eine Sportsinfonie. Vorhang auf: it‘s sunny today, every day it‘s sunny in Doha. Heute 44 Grad, hohe Luftfeuchtigkeit. Die Brille beschlägt beim Gang ins Freie, das Hemd ist heute früher nass als gestern. Doch gleich wartet wieder eine von vielen Klimaanlagen, rein raus, Halstuch ran, Jacke aus, Jacke an. Aber man gewöhnt sich, und eigentlich hat man keinen Grund zu Klagen.

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Nach der PK Fahrt ins Hotel mit dem Mannschaftsbus zum Stadion. Cindy Roleder ist dabei, Wolfgang Kühne, ihr Trainer, Volker Beck, Olympiasieger 1980 über 400 Meter Hürden. Hatte ich bislang immer Transportzeiten ins Stadion von 45 Minuten, geht es diesmal so flott wie nie. Der Grund: ein Polizei-Motorrad führt uns mit Blaulicht unglaublich schnell über die vierspurige Straße, blockt die anderen Fahrzeuge und schafft freie Fahrt.

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Auf dem Fußweg zum Khaifa-Stadion ruft der Muezzin von dem Torch, dem Wahrzeichen Dohas, die Moslems fünfmal am Tag  zum Gebet. Im Stadionumgang stehen viele paar Schuhe vor drei Türen: Muslims gehen hinein und beten. Ein paar Schritte weiter knien neun Menschen, teilweise in der WM-Kleidung nieder, beten vor vorbeikommenden Menschen, Journalisten, Kataris. Ein Sportstadion ist auch ein religiöser Ort.

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Manchmal geschehen Dinge die passieren, man kann sie jedoch nicht erklären. Beim Temin mit Carl Lewis wurde ich von Osama, einem Medienbetreuer, und Mubarak, Mitglied im lokalen Organisationskommittee bei den Medien, zu einem Termin eingeladen. Ich bin im Fernsehstudio des katarischen Sportchannels alkass gelandet und war 30 Minuten Studiogast in der Mittagszeit. Riesiges TV-Studio, Simultanübersetzer im Ohr. Seb Coe großformatig an der Studiowand, Barshim und dann der Gast aus Pliezhausen. Das Abschneiden des deutschen Teams, Einschätzung der WM, und am Tag der deutschen Einheit die Bedeutung der Vereinigung im Sport, waren die Gesprächsthemen. Alles wie im ZDF-Sportstudio.

Am nächsten Morgen die große Überraschung: zwei Katarische Sportzeitungen berichten groß (ganzseitig) über meinen Besuch. Da gab es dann gleich Foto-Wünsche an der Rezeption und im Stadion. 


Montag, 30. September: Carl Lewis war da!

Er kam, sah und zog über 60 Journalisten in seinen Bann. Carl Lewis, neunfacher Olympiasieger, achtfacher Weltmeister und Weltrekordler im Sprint und im Weitsprung landete in Doha. Wohin? Auf den "Torch". Die Fackel, unweit vom Khalifa-Stadion, die wie ein Wahrzeichen 300 Meter in den meist bläulich-diesigen katarischen Himmel ragt. Tags, und vor allem nachts, steht sie über allem und bietet einen 360 Grad Rundum-Blick über diese Stadt mit so vielen Gegensätzen, so vielen Gesichtern, ein andere Welt für die Europäer. Dort oben ist, gebührend, die Legende für eine Stunde wieder auferstanden.

Carl Lewis (58), der in den 90er Jahren auch in Stuttgart die Leichtathletik in seinen Bann zog, kam mit fast einstündiger Verspätung zu AIPS-Veranstaltung. Ja, damals in der Stuttgarter Schleyer-Halle, konnte ich ihn als Hallensprecher beim Sparkassen-Cup, der jahrelang das weltbeste Hallenmeeting war, einige Male interviewen. "Stuttgart, yes I know", signalisierte er. In Begleitung von Leroy Burrell, der sich äußerlich deutlich verändert hatte.

Lewis und Burrell sinnierten über ihre Karriere in ihrer Zeit, sichtlich genießend, was ihnen da auch optisch vorgeführt wurde. Lewis entwickelte im Interview mit dem italienischen WM-Siebten Filippe Tortu Moderatoren-Qualitäten und kritisierte die Entwicklung der Leichtathletik. "Sie ist seit dreißig Jahre stehen geblieben, da müssten mal ein paar Marketing-Leute rein, um das zu verändern".

Hinterher zog er sich mit Männern im "Thawb", einem knöchellangen Gewand aus weißer Baumwolle, und eine "Kofia", der zylindrischen Mütze auf dem Kopf, in ein vorhangbehangenes Separé zurück. Ob Carl Lewis als Botschafter für die Fußball-WM gehandelt wird? Nichts ist unmöglich. Schon gar nicht in dieser Welt des großen Reichtums.

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Montag war erstmals WM-Stimmung im Stadion. Verantwortlich dafür waren vor allem die vielen Zuschauer aus Äthiopien, die den Doppelsieg ihrer Landsleute über 5.000 Meter euphorisch feierten. Und erstmals waren nach dem Coup von Gesa Felicitas Krause mit dem Gewinn der Bronzemedaille über 3.000 Meter Hindernis auch deutsche Fahnen im Stadionrund unter den rund 15.000 Zuschauern erkennbar.

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Derweil bereiten sich baden-württembergische Athleten auf ihren Einsatz vor. Carolina Kraftzik vom VfL Sindelfingen über 400 Meter Hürden und Jessica-Bianca Wessolly (MTG Mannheim) im 200 Meter-Halbfinale brennen für Doha. Bei 38 Grad ist Training im Freien nicht möglich, die ganze Vorbereitung läuft in klimatisierten Räumen ab. So ist gestern auch das Staffeltraining für die 4x100 Meter abgesagt worden.


Samstag, 28. September 2019: Verkehr, Hitze und ein bekanntes Gesicht unter den Volunteers

Morgens im Zimmer den Vorhang beiseite schieben: keine Frage, in Doha scheint immer die Sonne. Der Blick durchs Fenster liefert immer dasselbe: Verkehr auf der fünfspurigen Straße vor dem Hotel. Sonne, Autos und für zehn Tage eine Leichtathletik-WM, das ist derzeit Doha. Die Bedingungen im Stadion mit heruntergekühlten Temperaturen sind gut, die Atmosphäre ebenfalls. Entgegen den Befürchtungen im Vorfeld sind ordentlich Zuschauer da, und die machen einen ordentlichen Lärm.

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Und beim 100 Meter-Finale gab es eine mit optischen Effekten bestückte Präsentation. „Das Publikum war grandios bei dieser Lichtshow“, zeigte sich der neue Weltmeister Christian Coleman (USA) begeistert. Licht aus, farbige Illuminationen, Spots auf die einzeln Athleten, optische Namensgebung entlang der ganzen Bahn,  Licht auf einen Schlag an – „Ahh“ stöhnt das Stadion, bevor die Sprinter die Bahn hinunterrennen.

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3500 ehrenamtliche  Volunteers sind bei dieser WM im Einsatz. Überaus freundliche Menschen, die helfen wollen, wo es nur geht. Katar zeigt ich von seiner menschlichen, besten Seite. Mittendrin: Katrin Stahl aus Tübingen als Medienbetreuerin auf der Pressetribüne. Die 25-Jährige ist eine erfahrenen Volunteer: in Zürich 2014, Amsterdam 2016 und Berlin 2018 war sie schon im Einsatz. „Ich bin mit der Leichtathletik aufgewachsen und kann hier so nah dabei sein“, freut sie sich, die immerhin ein Flugticket für diese Erlebnis selber einsetzen muss, aber viele unvergessliche Erlebnisse mit nach Hause nimmt.


Freitag, 27. September 2019: Die 17.Leichtathletik-WM in Doha - die ungewöhnlichste der Geschichte

Ankunft in Doha: beim Ausstieg aus dem Flieger stockt der Atem. Die Hitze steht wie eine Wand vor dem Gesicht. September in Doha/Katar. Es beginnt der Marathon durch die Klimaanlagen: im Flughafen, im Taxi, im Hotel, und später auch im Khalifa-Stadion. Ohne die Kälte spendenden Maschinen wäre es hier kaum auszuhalten für uns Europäer. Beim Verlassen des Flughafens beschlägt die Brille - die Luftfeuchtigkeit meldet sich. Auf vierspurigen Straßen geht es hinein die 800000 Einwohner zählende Stadt am Persischen Golf. Die ungewöhnlichste WM der Leichtathletik-Geschichte hat begonnen.  

 

Ewald Walker, Doha / WLV